#2 Die Lehre von den Zeichen: Semiotik

Shownotes

Schon immer haben sich die Semiotiker Gedanken über diesen rätselhaften Zusammenhang zwischen einer Sache, der Bezeichnung für diese Sache (dem Wort) und die Vorstellung dieser Sache vor unserem geistigen Auge. In dieser Folge machen wir einen schnellen Rundumschlag mit Namedropping, erfahren, was das wieder mit Design zu tun hat – und stürzen uns mit Leib und Seele in die echte Welt, um Zeichensysteme zu finden.

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#2 Die Lehre von den Zeichen: Semiotik

#2 Die Lehre von den Zeichen: 16.661 Zeichen

#2 Die Lehre von den Zeichen: Du kannst dich sicher noch an das telepathische Gedankenexperiment aus der letzten Folge erinnern – das mit dem Kaninchen, das du nach meiner Beschreibung gestochen scharf in deiner Vorstellung gesehen hast – und nicht nur du, sondern wahrscheinlich alle, die den Podcast gehört haben. Du musst doch zugeben, dass das schon einigermaßen verrückt war, oder? Ich verwende ein Wort – Kaninchen – und vor deinem inneren Auge erscheint ein superrealistisches Abbild eines echten Kaninchens.

Zwischen diesen drei Entitäten könntest du jetzt wiederum vor deinem geistigen Auge ein Dreieck ziehen: zwischen dem echten Kaninchen, dem Wort “Kaninchen” und dem Bild eines Kaninchens in deinem Kopf. Und schwupps hast du ein echtes erkenntnistheoretisches Problem vor Augen, mit dem sich Menschen seit über 2000 Jahren beschäftigen. Ganz ehrlich! Seit 2000 Jahren rätseln sie über diese merkwürdige Beziehung zwischen dem echten Ding, der Vorstellung von einem Ding und dem Wort, das das Ding bezeichnet. Manche sagen, dass man sich erst eine Vorstellung von einer Sache machen kann, wenn man ein Wort dafür weiß. Und andere sagen, dass es eine Sache noch nicht mal in Echt geben muss, und man trotzdem ein Wort dazu und ein Bild vor Augen hat – z.B. gilt das für Einhörner. Dieses Dreieck ist so berühmt, dass es sogar einen Namen hat: Das semiotische Dreieck. Und die Wissenschaft, die sich genau damit, mit dieser Zeichentheorie und Zeichensystemen aller Art befasst, ist die Semiotik: z. B. Bilderschrift, Gestik, Formeln, Sprache, Verkehrszeichen – mehr dazu später.

Wie du an dieser Aufzählung bereits erkennen kannst, hat die Semiotik, die Zeichenlehre, so dermaßen viel mit unserer Profession, dem Design, zu tun, dass mich wirklich verwundert, wie wenig in unserem Bereich über Semiotik gesprochen wird. Angefangen schon beim Wort: das altgriechische Wort σημεῖον sēmeĩon bedeutet ‚Zeichen‘, ‚Signal’ – der wichtigste Bestandteil in der Bezeichnung unserer Profession: De-SIGN, ebenfalls ‚Zeichen’. Wir sind eben diejenigen, die genau diese Zeichen entwerfen. Es liegt also nahe, dass wir uns mit der dinglichen Welt da draußen genauso befassen wie mit der Ebene der Bedeutung, die hinter den Dingen liegt – naja, davon hatten wir’s ja in der letzten Folge schon ausführlich.

Wie du an dieser Aufzählung bereits erkennen kannst, hat die Semiotik, die Zeichenlehre, so dermaßen viel mit unserer Profession, dem Design, zu tun, dass mich wirklich verwundert, wie wenig in unserem Bereich über Semiotik gesprochen wird. Angefangen schon beim Wort: Ich erzähl dir jetzt noch einen kurzen Abriss der Geschichte dieser sehr interessanten Wissenschaft, der Semiotik – einfach um ein bisschen Namedropping zu betreiben.

2.1. Namedropping: Eine kurze Geschichte der Semiotik

Es gab einige prägende Gestalten in der Semiotik – da dies eine ziemlich spezifische Wissenschaft ist, kann man sie jedoch im Prinzip an zwei Händen abzählen. Nicht besonders verwunderlicher Weise waren dies alles Männer, angefangen bei den alten Griechen (oder hast du schon einmal von einer einflussreichen, aber in Vergessenheit geratenen griechischen Philosophin gehört? Also ich nicht). Einer von ihnen war Aristoteles – typisch, muss man sagen, weil wenn’s irgend etwas zu denken gab vor 2000 Jahren, hat dieser Universalgelehrte, der selbst ein Schüler Platons war, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drüber nachgedacht. Er behandelt in einer berühmten Schrift namens „De interpretatione“ (Lehre vom Satz) die Zeichen als eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Zeichen selbst (dem gesprochenen Wort), dem Bezeichneten (einem Gegenstand) und einer Vorstellung in der Seele. Wenn du nochmal an das Beispiel von Stephen King und dem Kaninchen denkst, so klingt, finde ich, Aristoteles auch heute noch erstaunlich modern:

Es gab einige prägende Gestalten in der Semiotik – da dies eine ziemlich spezifische Wissenschaft ist, kann man sie jedoch im Prinzip an zwei Händen abzählen. Nicht besonders verwunderlicher Weise waren dies alles Männer, angefangen bei den alten Griechen (oder hast du schon einmal von einer einflussreichen, aber in Vergessenheit geratenen griechischen Philosophin gehört? Also ich nicht). Einer von ihnen war Aristoteles – typisch, muss man sagen, weil wenn’s irgend etwas zu denken gab vor 2000 Jahren, hat dieser Universalgelehrte, der selbst ein Schüler Platons war, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drüber nachgedacht. Er behandelt in einer berühmten Schrift namens „De interpretatione“ (Lehre vom Satz) die Zeichen als eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Zeichen selbst (dem gesprochenen Wort), dem Bezeichneten (einem Gegenstand) und einer Vorstellung in der Seele. Wenn du nochmal an das Beispiel von Stephen King und dem Kaninchen denkst, so klingt, finde ich, Aristoteles auch heute noch erstaunlich modern: „Die gesprochenen Worte sind die Zeichen von Vorstellungen in der Seele und die geschriebenen Worte sind die Zeichen von gesprochenen Worten. So wie nun die Schriftzeichen nicht bei allen Menschen dieselben sind, so sind auch die Worte nicht bei allen Menschen dieselben; aber die Vorstellungen in der Rede, deren unmittelbare Zeichen die Worte sind, sind bei allen Menschen dieselben und eben so sind die Gegenstände überall dieselben, von welchen diese Vorstellungen die Abbilder sind.“

Daran kannst du dich vielleicht schonmal gewöhnen: Viele kluge Leute haben im Laufe der Zeit ziemlich kluge Sachen gedacht. Ich sage das deshalb, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass wir in unserer modernen Zeit dazu neigen, alles, was in der Vergangenheit jemand gesagt oder geschrieben hat, als altmodisch abzutun. So, als hätten wir heute alles erfunden, was es zu sagen und zu erfahren gibt. Und da lohnt es sich manchmal wirklich, offenen Auges in die Vergangenheit zu schauen – vor allem für Designer:innen. Aber das nur als kleiner Einschub.

Daran kannst du dich vielleicht schonmal gewöhnen: *

Daran kannst du dich vielleicht schonmal gewöhnen: Als Aristoteles und die Griechen über Zeichen und die „Vorstellung in der Seele“ nachgedacht haben, war das noch keine eigene Wissenschaft. Eher hatten seine Überlegungen mit Sprache zu tun und mit der Art und Weise, wie sich unser Denken zur Erkenntnis formt.

Eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin entwickelt sich aus der Semiotik aber erst mit zwei Denkern Ende des 19. Jahrhunderts: dem US-Amerikaner Charles Sanders Peirce und dem Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure. Die beiden streifen wir hier aber nur kurz, wie gesagt, reines Namedropping.

Da gibt es aber noch einen Denker, und das ist der französische Philosoph, Schriftsteller und Literaturkritiker Roland Barthes. Er kommt weniger theoretisch daher, sondern bringt die Semiotik in den 1950er / 60er Jahren mitten hinein in den Alltag, die Gesellschaft, die Medien, die Fotografie und in die Popkultur – und kommt damit auch unserem Metièr, dem Design, viel näher. In seiner Zeit war er so eine Art intellektueller Influencer; nicht auf Social Media, aber in einer einflussreichen Kolumne für die Zeitschrift Les Lettres nouvelles. Diese Essays machten ihn sofort bekannt, wenig später veröffentlichte er sie als Buch unter dem Titel „Mythen des Alltags“ – bis heute ein Klassiker. Er schreibt darin über zeitgenössische kulturelle Phänomene, und wie diese in Zeitungsartikeln, auf Fotos in einer Illustrierten oder in der Werbung der breiten Öffentlichkeit dargestellt werden. Z.B. schreibt er über Wrestling, Seifenpulver, Beefsteak und Pommes Frites, den neuen Citroën oder den Kunststoff Plastik. Für genau diese Phänomene prägt er den Begriff „Mythos“: „Der Mythos ist ein System der Kommunikation, eine Botschaft“. Er sagt, „jeder Gegenstand der Welt kann von einer verschlossenen, stummen Existenz in einen gesprochenen Zustand übergehen, der der Aneignung durch die Gesellschaft zugänglich ist, denn kein Gesetz, auch kein Naturgesetz, verbietet es, von den Dingen zu sprechen.“ Dabei kritisiert er nicht die Tatsache, dass profane Alltagsgegenstände in die Erzählung des Volkes eingehen und zu Mythen werden; sondern, dass wir uns oft dieser Mythologisierung gar nicht bewusst sind, sondern diese Bedeutung ungefragt übernehmen.

Da gibt es aber noch einen Denker, und das ist der französische Philosoph, Schriftsteller und Literaturkritiker Roland Barthes. Er kommt weniger theoretisch daher, sondern bringt die Semiotik in den 1950er / 60er Jahren mitten hinein in den Alltag, die Gesellschaft, die Medien, die Fotografie und in die Popkultur – und kommt damit auch unserem Metièr, dem Design, viel näher. In seiner Zeit war er so eine Art intellektueller Influencer; nicht auf Social Media, aber in einer einflussreichen Kolumne für die Zeitschrift Les Lettres nouvelles. Diese Essays machten ihn sofort bekannt, wenig später veröffentlichte er sie als Buch unter dem Titel „Mythen des Alltags“ – bis heute ein Klassiker. Er schreibt darin über zeitgenössische kulturelle Phänomene, und wie diese in Zeitungsartikeln, auf Fotos in einer Illustrierten oder in der Werbung der breiten Öffentlichkeit dargestellt werden. Z.B. schreibt er über Wrestling, Seifenpulver, Beefsteak und Pommes Frites, den neuen Citroën oder den Kunststoff Plastik. Für genau diese Phänomene prägt er den Begriff „Mythos“: Der letzte in der Namedropping-Reihe der Semiotiker ist Umberto Eco. Vielleicht hast du schonmal von ihm gehört; er ist vor allem wegen seiner Romane bekannt, z.B. „Der Name der Rose“, der ihn in den 1980er Jahren weltberühmt machte und mit Sean Connery verfilmt wurde. Umberto Eco war jedoch auch und vor allem Medienwissenschaftler und – Semiotiker. Ich erwähne ihn hier schonmal, weil wir nachher in der Rechercheaufgabe nochmal auf ihn zurückkommen.

Da gibt es aber noch einen Denker, und das ist der französische Philosoph, Schriftsteller und Literaturkritiker Roland Barthes. Er kommt weniger theoretisch daher, sondern bringt die Semiotik in den 1950er / 60er Jahren mitten hinein in den Alltag, die Gesellschaft, die Medien, die Fotografie und in die Popkultur – und kommt damit auch unserem Metièr, dem Design, viel näher. In seiner Zeit war er so eine Art intellektueller Influencer; nicht auf Social Media, aber in einer einflussreichen Kolumne für die Zeitschrift Les Lettres nouvelles. Diese Essays machten ihn sofort bekannt, wenig später veröffentlichte er sie als Buch unter dem Titel „Mythen des Alltags“ – bis heute ein Klassiker. Er schreibt darin über zeitgenössische kulturelle Phänomene, und wie diese in Zeitungsartikeln, auf Fotos in einer Illustrierten oder in der Werbung der breiten Öffentlichkeit dargestellt werden. Z.B. schreibt er über Wrestling, Seifenpulver, Beefsteak und Pommes Frites, den neuen Citroën oder den Kunststoff Plastik. Für genau diese Phänomene prägt er den Begriff „Mythos“: 2.2. Relevanz fürs Design heute

Da gibt es aber noch einen Denker, und das ist der französische Philosoph, Schriftsteller und Literaturkritiker Roland Barthes. Er kommt weniger theoretisch daher, sondern bringt die Semiotik in den 1950er / 60er Jahren mitten hinein in den Alltag, die Gesellschaft, die Medien, die Fotografie und in die Popkultur – und kommt damit auch unserem Metièr, dem Design, viel näher. In seiner Zeit war er so eine Art intellektueller Influencer; nicht auf Social Media, aber in einer einflussreichen Kolumne für die Zeitschrift Les Lettres nouvelles. Diese Essays machten ihn sofort bekannt, wenig später veröffentlichte er sie als Buch unter dem Titel „Mythen des Alltags“ – bis heute ein Klassiker. Er schreibt darin über zeitgenössische kulturelle Phänomene, und wie diese in Zeitungsartikeln, auf Fotos in einer Illustrierten oder in der Werbung der breiten Öffentlichkeit dargestellt werden. Z.B. schreibt er über Wrestling, Seifenpulver, Beefsteak und Pommes Frites, den neuen Citroën oder den Kunststoff Plastik. Für genau diese Phänomene prägt er den Begriff „Mythos“: Jetzt fragst du dich vielleicht mal wieder, was das alles mit Design und unserer Vorlesung, „Designtheorie“ zu tun hat. Ich komm jetzt dazu.

Als ich in den 1990ern studiert habe, an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd, hatten wir eine Vorlesung “Semiotik”, bei einem alten und wohl ehemals recht bekannten Semiotiker, Martin Krampen. Er hatte an der HfG Ulm bei Otl Aicher studiert (der, von dem wir’s letztesmal hatten) und damals einige Bücher zur Semiotik veröffentlicht. Wir als Studierende erkannten seine Bedeutung leider nicht wirklich. Vor uns in der Vorlesung stand aus unserer Sicht ein uralter Mann, der seine aus unserer Sicht angestaubte Vorlesung hielt, uns jedoch gar nicht mehr erreichen konnte. Erst vor kurzem habe ich eines seiner Bücher wieder hervorgeholt. Es heißt „Zeichensysteme der visuellen Kommunikation“, von Martin Krampen und Otl Aicher. Es widmet sich vor allem dem Teil der Zeichenlehre, der für Design relevant ist: nämlich, neben der gesprochenen und geschriebenen Sprache, die ja in der Semiotik auch als „Zeichen“ zu werten sind, den visuellen Symbolen, insbesondere den Bildsymbolen. Er führt z.B. auf: Italienische Handzeichen, Polizeihandzeichen, Verkehrszeichen, Morsezeichen, Flaggenalphabet, Steinmetzzeichen, Tierkreiszeichen, Bildzeichensysteme aus Mathematik, Physik, Chemie, Verfahrenstechnik, chemischer Apparatebau, Maschinenbau, Stromleitungen, Landschaftsplanung; aber auch ganze Schriftsysteme wie die Notenschrift, die Zahlen, bis hin zur Entwicklungsgeschichte der Schrift selber, von der Ideenschrift über die Lautschrift zur Buchstabenschrift. Er schreibt dazu:

Als ich in den 1990ern studiert habe, an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd, hatten wir eine Vorlesung “Semiotik”, bei einem alten und wohl ehemals recht bekannten Semiotiker, Martin Krampen. Er hatte an der HfG Ulm bei Otl Aicher studiert (der, von dem wir’s letztesmal hatten) und damals einige Bücher zur Semiotik veröffentlicht. Wir als Studierende erkannten seine Bedeutung leider nicht wirklich. Vor uns in der Vorlesung stand aus unserer Sicht ein uralter Mann, der seine aus unserer Sicht angestaubte Vorlesung hielt, uns jedoch gar nicht mehr erreichen konnte. Erst vor kurzem habe ich eines seiner Bücher wieder hervorgeholt. Es heißt „Zeichensysteme der visuellen Kommunikation“, von Martin Krampen und Otl Aicher. Es widmet sich vor allem dem Teil der Zeichenlehre, der für Design relevant ist: „In der Ideenschrift ist das ‚Geschriebene’ von den Lauten des Gesprochenen unabhängig. Die ‚Ideen’ werden direkt in Bilder (Piktogramme) umgesetzt. Durch die Eigenart der Schreibgeräte und des die Schrift tragende Materials können diese Bildzeichen sich zu abstrakteren Formen wandeln (…). So konnte sich aus den ägyptischen Hieroglyphen die Buchstabenschrift entwickeln.“

Eigentlich eigenartig, wenn du dir überlegst, dass wir in unserer Zeit, dem Digitalzeitalter, auf dem besten Wege sind, zur Ideenschrift zurückzukehren: Icons, Piktogramme und Emojis sind als Zeichensysteme für User Guidance auf dem Screen und im Netz, für die intuitive Kennzeichnung von Funktionen und Apps, für Navigation und Karten auf Google Maps und für schnelle digitale Kommunikation und universelle Informationsvermittlung omnipräsent. Wo früher analoge Medien, analoge Schilder, mechanische Schalter, Tasten, Knöpfe und analoge Messinstrumente waren, steuern wir heute mit Icons und Piktogrammen auf der Benutzeroberfläche des Smart-Home-Thermostats unsere Heizung oder navigieren unser Elektroauto. Icons und Piktogramme sind die Stars des Interface Designs und allgegenwärtig, sobald wir mit technischen Geräten und Computern in Berührung kommen.

Ein Phänomen, das mich die letzten Jahre besonders beschäftigt hat, sind dabei die Emojis. Offensichtlich hat sich in der schnellen, digitalen Kommunikation ein großer Bedarf herausgebildet, Emotionen mitzutransportieren. Aber hast du dir auch schonmal überlegt, dass die bildhaften Zeichen der Emojis mittlerweile die großen, emotionalen Strömungen der gesamten Menschheit steuern, messbar und taggable machen? Das ganze fing ganz harmlos an, indem uns nämlich unsere digitalen Tools in unserer Kommunikation neue Möglichkeiten anboten, in Bildern zu kommunizieren, ohne viele Worte zu gebrauchen und unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen. „Thumbs up / Thumbs down“. „Like / Dislike“. In der Unternehmenshistorie von Facebook wird dieser Moment 2004 gefeiert wie ein Durchbruch der Menschheitsgeschichte: als Mark Zuckerberg den „Daumen“ erfand. 2015 wählte die Oxford University Press das Emoji 😂 („Face With Tears of Joy“) sogar zum Wort des Jahres, mit der Begründung, dass die Verwendung von Emojis stark zugenommen hätte und diese als „nuancierte Ausdrucksform Sprachbarrieren überwinden“ könnten.

Heute ist so gesehen eine der einflussreichsten Behörden das Unicode-Konsortium. Noch nie gehört? Dieses Konsortium kontrolliert eben jenes machtvollste Zeichensystem der Welt: Es ist die Stelle, die die normierten Emojis für alle gängigen Smartphone-Systeme festlegt. Das muss man sich mal vorstellen: Das ist das Zeichensystem, das die vorgestanzten, emotionalen Gefühlsschablonen der digitalen Kommunikation der gesamten Menschheit festlegt. Und das ist deshalb so machtvoll, weil diese wiederum die Algorithmen der großen Social Media-Plattformen und somit die großen Hass- und Empörungswellen füttern, die in unserer Zeit schon zu gesellschaftlichen Umstürzen geführt oder Wahlen entschieden haben. Der Facebook-Algorithmus beispielsweise rankt Posts, die mit negativen Emojis getaggt sind, fünfmal so hoch im Feed wie positive Posts, weil das erfahrungsgemäß zu mehr Traffic auf der Plattform führt, mehr Klicks, mehr Engagement. Der Blick auf die Emojis macht klar, dass damit natürlich auch ein hohes Maß an Kontrolle einhergehen kann. Was passiert mit all den Gefühlsschattierungen, die in der Grauzone zwischen dem gehobenen und dem gesenkten Daumen liegen? Wo finden die in der digitalen Kommunikation ihren Ausdruck?

Du siehst also: Unser gesamtes Leben besteht aus Zeichensystemen, die wir brauchen, um zu denken, zu kommunizieren, uns zu orientieren, Abläufe zu strukturieren, unsere moderne, komplexe Gesellschaft zu organisieren.

Um darauf einen neuen Blick zu gewinnen, probiert Ihr es in der Rechercheaufgabe am besten mal an dem großen Experimentierfeld aus, das da draußen auf Euch wartet: die digitale und die echte Welt.

2.3. Rechercheaufgabe: Surft die Zeichensysteme der Stadt!

Ich hatte dir ja eben, in dem kurzen geschichtlichen Ablauf, von dem Semiotiker Umberto Eco erzählt. Einer seiner Standardwerke der Semiotik heißt „Zeichen – Einführung in einen Begriff und seine Geschichte“. Im Vorwort erzählt er eine Geschichte von einem gewissen Senior Sigma. Hör mal zu – sie führt gut vor Augen, wie viele Zeichensysteme wir ständig surfen, um uns im komplexen Alltag zurechtzufinden:

„Signor Sigma, so wollen wir annehmen, hat bei einem Aufenthalt in Paris plötzlich Beschwerden im Bauch. Sigma beschließt, sich einen Termin bei einem Arzt geben zu lassen. Er schaut ins Pariser Telefonbuch: präzise grafische Zeichen sagen ihm dort, wer Arzt ist und wie er ihn erreichen kann. Sigma wählt die Nummer: ein neuer Ton sagt ihm, dass die Nummer frei ist. Und schließlich hört er eine Stimme, der Arzt gibt ihm einen Termin und eine Adresse. Die Adresse ist ein Zeichen, dass auf einen genau festgelegten Ort in der Stadt, auf ein bestimmtes Stockwerk in einem Gebäude, auf eine bestimmte Tür in diesem Stockwerk verweist. Der Termin beruht auf der beiden offenstehenden Möglichkeit, sich auf ein allgemein benutztes Zeichensystem, nämlich die Uhr, zu beziehen. Sodann muss Sigma verschiedene Operationen ausführen, um ein Taxi als solches zu erkennen (an seiner Farbe und seinem Leuchtschild), und er muss dem Taxifahrer bestimmte Zeichen übermitteln; der Taxifahrer interpretiert die Verkehrsschilder und Ampeln, er muss die verbal empfangene Adresse mit der Adresse auf dem Straßenschild vergleichen (das würde heute im Zeichensystem von Google Maps erfolgen, Anm. d. Red.), und dann folgen die zahlreichen Operationen die Sigma ausführen muss, um in dem betreffenden Gebäude den Aufzug zu erkennen, um den dem gewünschten Stockwerk entsprechenden Knopf zu finden, ihn zu drücken und schließlich das Erkennen der zur Arztpraxis führenden Türe aufgrund des Türschilds. Sigma muss auch erkennen, welcher der beiden neben der Tür angebrachten Knöpfe die Klingel und welcher den Lichtschalter der Treppenbeleuchtung betätigt; sie sind unterscheidbar entweder durch ihre verschiedene Form, oder durch die schematische Zeichnung einer Glocke bzw. einer Lampe, die sie tragen … Um endlich zum Arzt zu gelangen, muss Sigma also viele Regeln kennen, die einer bestimmten Form eine bestimmte Funktion oder bestimmten graphischen Zeichen bestimmte Dinge zuordnen.“

„Signor Sigma, so wollen wir annehmen, hat bei einem Aufenthalt in Paris plötzlich Beschwerden im Bauch. Sigma beschließt, sich einen Termin bei einem Arzt geben zu lassen. Er schaut ins Pariser Telefonbuch: Genau so eine Recherche wollen wir jetzt auch machen, um Euren Blick zu schärfen für die vielen unterschiedlichen Zeichensysteme, die wir in unserem echten wie in unserem digitalen Leben, unserem Alltag, im Transportwesen, Supermärkten, Online-Shops, Bildungseinrichtungen, Straßenverkehr und Datenverkehr, benötigen, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten.

Die Aufgabe lautet also: Macht Euch von hier auf den Weg zum Hauptbahnhof, um einen fiktiven Zug nach Berlin zu nehmen (natürlich nehmt Ihr ihn nicht wirklich – ich erwarte Euch alle nachher wieder hier in der Vorlesung). Recherchiert, fotografier, screenshottet alle Zeichensysteme, Symbole, Gesten, Verkehrszeichen, Pläne, die Euch den Weg weisen und die es braucht um eine Stadt am Laufen zu halten.

Die Aufgabe lautet also: Benutzt Google Maps, fahrt Fahrrad, U-Bahn, geht zu Fuß, fragt nach dem Weg, nehmt ein Taxi oder ein Uber, wie Ihr wollt. Dokumentiert alle Zeichensysteme, die Ihr durchlauft, um ans Ziel zu kommen. Bringt ein Symbol / Zeichen mit, das Ihr noch nicht kanntet.

Die Aufgabe lautet also: Ziel dieser Übung ist, Euch bewusst zu werden, wie viel Semiotik im Leben steckt. Und wie viele Zeichensysteme nötig sind, um Euer Ziel zu erreichen.

Die Aufgabe lautet also: Ich bin schon sehr gespannt, Euch alle nachher wieder hier zu sehen und von Euren Rechercheergebnissen zu hören.

Die Aufgabe lautet also: Bis nachher!

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