#1 Eine universelle Sprache

Shownotes

In dieser ersten Folge geht es erstmal um grundsätzliches: Die verrückte Geschichte, wie unser Denken funktioniert – und was das mit Design und Designtheorie zu tun hat. Diese Folge liefert die Denkart für diese Vorlesung: Dass sich hinter den sichtbaren Dingen viel mehr verbirgt, als es auf den ersten Blick scheint.

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#1 Eine universelle Sprache

18.408 Zeichen

Pass auf, ich will dir jetzt mal was wirklich verrücktes erzählen.

Hast du dir mal überlegt, dass du dich über die meisten Dinge, die du tust, gar nicht mehr wunderst, weil sie dir total vertraut sind und dir vollkommen normal vorkommen? Dabei sind sie bei näherer Betrachtung wirklich komplett verrückt. Sie haben nämlich mit diesem Apparat zu tun, den wir alle im Kopf haben: dem Gehirn. Und der Tätigkeit, die wir die ganze Zeit damit ausüben: Denken. Uns Dinge vorstellen.

Hast du dir mal überlegt, dass du dich über die meisten Dinge, die du tust, gar nicht mehr wunderst, weil sie dir total vertraut sind und dir vollkommen normal vorkommen? Dabei sind sie bei näherer Betrachtung wirklich komplett verrückt. Sie haben nämlich mit diesem Apparat zu tun, den wir alle im Kopf haben: Ich werd dir ein paar Beispiele sagen.

Stell dir mal folgendes vor: Ein Tisch mit einem roten Tischtuch. Darauf steht ein Käfig, ungefähr so groß wie ein kleines Aquarium. In dem Käfig ist ein weißes Kaninchen mit einer rosa Nase und rosa umrandeten Augen. In seinen Vorderpfoten hält es einen Karottenstummel, an dem es begeistert herumnagt. Was deinen Blick anzieht, ist jedoch etwas anderes. Auf dem Rücken des Tieres, klar umrissen mit leuchtender, blauer Tinte, siehst du die Zahl 8.

Was ist jetzt daran so verrückt?, wirst du dich fragen. Naja. Ich finde es verrückt, dass ich dir mit Worten etwas beschreibe, und im gleichen Moment erscheint vor deinem geistigen Auge ein Bild, plastisch, superrealistisch und in Farbe. Und wahrscheinlich nicht nur bei dir, sondern auch noch bei allen anderen, die diesen Podcast hören – und diese Bilder werden sich sogar ähneln! Das ist ein bisschen wie Telepathie, findest du nicht? Genauso hat’s mal ein sehr berühmter Autor genannt, und von ihm stammt auch dieses Beispiel mit dem Kaninchen: Stephen King. Er nennt das „We are having a meeting of the minds“, und sieht genau darin sein Handwerk als Autor: eine telepathische Verbindung knüpfen, mit Worten ein Bild entwerfen, das seine Leser:innen genau vor Augen haben.

Wenn wir jetzt mal einen Schritt weitergehen, ist es doch ziemlich verrückt, dass das überhaupt funktioniert, dass du vor deinem geistigen Auge ein Kaninchen siehst – obwohl ja soweit ich weiß im Augenblick keines vor deinen Augen zu sehen ist, oder? Genauso verrückt ist es doch, dass du Szenen, die du vor einiger Zeit erlebt hast, in deinem Kopf wieder abspielen und anschauen kannst (Erinnerungen), und nachts sogar richtige 3D-Animationsfilme auf deiner inneren Leinwand ablaufen (Träume). Oder aber, und damit kommen wir unserem Metier, Design, jetzt langsam näher: dass du dir Dinge vorstellen kannst, die noch gar nicht da sind. Das ist die Welt der Ideen.

Wieso können Menschen das? Wir benutzen unsere fünf Sinne, um mit der Welt da draußen in Kontakt zu treten: Sehen, hören, schmecken, riechen und tasten, und können uns somit in unserem Kopf ein ziemlich genaues Bild von dem machen, was uns umgibt, oder? Eine Art natürliches Dasein sinnlicher Präsenz. Aber das wirklich verrückte ist, dass wir als Menschen irgendwann, als unser Hirn eine Art Super-Upgrade gemacht hat, gelernt haben, uns auch ein Bild über das Abwesende, das Imaginäre zu machen. Wir können uns Dinge „ausdenken“, Dinge, die die gar nicht körperlich existieren, Dinge, die in der Vergangenheit oder Zukunft liegen. Aus irgendwelchen rätselhaften Gründen entwickelten wir einen Geist, eine Sprache und verschiedene Visualisierungstechniken, um diese körperlosen Ideen in der echten Welt sichtbar und anfassbar zu machen.

Wieso können Menschen das? Wir benutzen unsere fünf Sinne, um mit der Welt da draußen in Kontakt zu treten: 1.1 Das Super-Upgrade des menschlichen Gehirns

Es ist übrigens ein großes Rätsel, warum das menschliche Gehirn vor ca. 70.000 Jahren diesen Quantensprung vollzog und die Fähigkeit zur Imagination entwickelte; sich Dinge vorzustellen, die nicht real vor seinen Augen existierten, sondern die es gewissermaßen vor seinem geistigen Auge erschaffen konnte. Der Universalwissenschaftler Yuval Harari erzählt davon sehr anschaulich in seinem berühmten Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Seit diesem Super-Upgrade konnte der Mensch sich alles mögliche vorstellen: er konnte einen Stein in die Hand nehmen und sich sagen: „Das ist ein Stein.“ Er konnte aber noch mehr: nämlich, sich den Faustkeil vorstellen, den er daraus fertigen würde. Und damit nicht genug. Er eignete sich eine weitere Fähigkeit an: die Fähigkeit, diese virtuellen Dinge in seinem Kopf anderen mitzuteilen. Die Fähigkeit zur Sprache.

Mit Hilfe der Sprache können Menschen Wörter erfinden, mit denen sich Dinge beschreiben lassen, die sie vor ihren eigenen Augen sehen: zum Beispiel „Stein“, „Faustkeil“ oder „Kaninchen“. Auch abstraktere Konzepte wie „Du“ und „Ich“ können in Worten Ausdruck finden, Worte können Tätigkeiten beschreiben wie „jagen“, „sprechen“ oder „Feuer machen“. Aber mit der Sprache wurde noch etwas anderes möglich: mit ihrer Hilfe kann der Mensch seither Dinge beschreiben, die nicht in der physischen Welt, sondern nur in seiner Vorstellungskraft existieren.

In dieser Zeit, die die „kognitive Revolution“ genannt wird, entstanden erstmals Legenden, Mythen, Götter und Religionen – übergeordnete Bedeutungen, und allesamt Dinge, die man nicht anfassen kann, und die nur in der Vorstellung existieren; in der Imagination. Der Mensch konnte sich also vorstellen, aus dem Stein, den er in den Händen hielt, nicht nur einen Faustkeil, sondern vielleicht eine kleine Figur zu fertigen, zum Beispiel einen Löwen. Wie ein Löwe aussah, das wusste er, denn er hatte schon öfters einen gesehen. Und als er fertig war, konnte er eine Geschichte dazu erfinden, und auf einmal hatte der Stein eine Bedeutung. Und dann konnte er den Leuten aus seiner Gruppe sagen: „Der Löwe ist der Schutzgeist unseres Stammes.“. Und auf einmal hatten alle Leute um ihn herum dieses Bild des Löwen als ihre gemeinsame Idee im Kopf.

In dieser Zeit, die die „kognitive Revolution“ genannt wird, entstanden erstmals Legenden, Mythen, Götter und Religionen – übergeordnete Bedeutungen, und allesamt Dinge, die man nicht anfassen kann, und die nur in der Vorstellung existieren; in der Imagination. Der Mensch konnte sich also vorstellen, aus dem Stein, den er in den Händen hielt, nicht nur einen Faustkeil, sondern vielleicht eine kleine Figur zu fertigen, zum Beispiel einen Löwen. Wie ein Löwe aussah, das wusste er, denn er hatte schon öfters einen gesehen. Und als er fertig war, konnte er eine Geschichte dazu erfinden, und auf einmal hatte der Stein eine Bedeutung. Und dann konnte er den Leuten aus seiner Gruppe sagen: 1.2. Vermittler zwischen zwei Welten

Jetzt wirst du dich vielleicht genau an diesem Punkt fragen: „Jaja, versteh ich ja alles. Und ist bei näherer Betrachtung auch ganz interessant. Aber was genau hat das jetzt mit Design zu tun? Was hat das alles mit Designtheorie zu tun?“. Das verrückte ist: eine ganze Menge. Es ist die Grundlage. Diese Zweigeteiltheit oder auch „Dualismus“ der Welt ist absolut elementar für unsere Profession – Design. Und deswegen finde ich es wichtig, dass du dir diese Tatsache, dass die Welt in Wirklichkeit aus zwei Welten besteht, zu Beginn unserer Vorlesung nochmal ganz bewusst vor Augen führst.

Designer: innen sind also als eine Art Weltenwanderer auf beiden Ebenen unterwegs:

-> Sie entwerfen und entwickeln jenen riesigen, unsichtbaren, geistigen Teil der Welt: Ideen, Konzepte, Identitäten, Gedankengebäude, Zukunftsvisionen, sie kennen den kulturellen Ideenspeicher; haben das tiefe Verständnis dafür, wo die Dinge ihren Ursprung haben, worin sie wurzeln, wie sie sich verändert haben im Laufe der Zeit und wohin sie sich entwickeln – allesamt Dinge, die man NICHT anfassen kann.

-> Sie entwerfen und entwickeln den uns umgebenden, körperlichen, sichtbaren und symbolischen Teil der Welt: Zeichen, Symbole, Gesten, Medien, Räume, Werkzeuge und Gegenstände. Sie haben ein breites Repertoire, um diese Dinge virtuos zu visualisieren und anfassbar zu machen: Formen, Farben, Schriften, Texturen, Oberflächen, Materialien, Bildwelten – allesamt Dinge, die uns die Welt der Ideen näher bringen, sie anfassbar und begreifbar machen.

Sieh es doch mal so: Auch Design ist eine universelle Sprache. Design ist ein Vermittler, eine Verbindung, ein Transmitter zwischen diesen beiden Welten. Eine Ausdrucksform, um Dinge aus der unsichtbaren, geistigen Sphäre – dem Denken, der Idee, der Bedeutung – zu übersetzen in die sichtbare, körperliche, greifbare Welt, die uns umgibt – und umgekehrt (das funktioniert immer in beide Richtungen). Denn es ist die Ebene der anfassbaren Dinge, die Ebene des Machens, die traditionell ein großer Teil unserer Profession ist, die dir hilft, durch das Machen, Anfassen und Ausprobieren Dinge auch auf einer gedanklichen Ebene besser zu begreifen und den Gedanken erst zu entwickeln.

Sieh es doch mal so: Dazu will ich dir mal schnell jemanden vorstellen.

1.3. Greifen und Begreifen: Der Gestalter Otl Aicher

Du hast wahrscheinlich schon von dem Gestalter Otl Aicher gehört (Es kann nicht schaden, mal seinen Wikipedia-Eintrag zu lesen). Zusammen mit seiner Frau Inge Aicher-Scholl, dem Architekten Max Bill und anderen gründete er 1953 die Hochschule für Gestaltung Ulm. Er war einer der ersten Vertreter des modernen Corporate Designs im Deutschland der Nachkriegszeit, entwarf viele heute noch bekannte Erscheinungsbilder und gab so unserem Land nach den dunklen Kriegsjahren ein neues, klares, sachliches und auch hoffnungsvolles Gesicht. Die berühmten, wunderbaren Erscheinungsbilder der 1960er und 70er Jahre sind alle in diesem Sinne entstanden: Das Erscheinungsbild für die Olympischen Sommerspiele in München 1972, sowie das dazugehörige, weltberühmte, auf einem strengen, isometrischen Raster basierende Piktogrammsystem aller sportlichen Disziplinen. Ebenso das Erscheinungsbild für die Lufthansa von 1963 mit dem bis heute nur unwesentlich veränderten, klaren Helvetica-Schriftzug. Seinen Arbeiten lag eine gliedernde und ordnende Struktur zugrunde, das waren gut durchdachte Systeme, die einem demokratischen und idealistischen Kommunikations- und Informationsauftrag nachkamen.

Du hast wahrscheinlich schon von dem Gestalter Otl Aicher gehört (Es kann nicht schaden, mal seinen Wikipedia-Eintrag zu lesen). Zusammen mit seiner Frau Inge Aicher-Scholl, dem Architekten Max Bill und anderen gründete er 1953 die Hochschule für Gestaltung Ulm. Er war einer der ersten Vertreter des modernen Corporate Designs im Deutschland der Nachkriegszeit, entwarf viele heute noch bekannte Erscheinungsbilder und gab so unserem Land nach den dunklen Kriegsjahren ein neues, klares, sachliches und auch hoffnungsvolles Gesicht. Die berühmten, wunderbaren Erscheinungsbilder der 1960er und 70er Jahre sind alle in diesem Sinne entstanden: Warum erzähle ich dir jetzt von Otl Aicher? Otl Aicher setzte sich viel mit dem Kontext der zu gestaltenden Welt, aber auch mit dem Gestaltungsprozess selbst auseinander. In seinen Texten habe ich Antworten gefunden über diesen rätselhaften Zusammenhang zwischen der geistigen und der körperlichen Ebene, über die wir eben gesprochen haben, und was das mit unserer Profession, dem Design, zu tun hat.

„greifen und begreifen“, das ist ein Kapitel aus Otl Aichers Buch „analog und digital“ aus dem Jahr 1991. Hier ein Auszug. Achte mal darauf, wie sehr das körperliche eine Rolle dabei spielt, wenn wir über das Denken sprechen:

„greifen und begreifen“, das ist ein Kapitel aus Otl Aichers Buch „analog und digital“ aus dem Jahr 1991. Hier ein Auszug. Achte mal darauf, wie sehr das körperliche eine Rolle dabei spielt, wenn wir über das Denken sprechen: „wir begreifen nicht nur, wir erfassen nicht nur, wir befassen uns mit etwas, wir wenden und drehen etwas und gelangen schließlich zu einer auffassung.

„greifen und begreifen“, das ist ein Kapitel aus Otl Aichers Buch „analog und digital“ aus dem Jahr 1991. Hier ein Auszug. Achte mal darauf, wie sehr das körperliche eine Rolle dabei spielt, wenn wir über das Denken sprechen: etwas begriffen haben, steht nicht nur in einer bildlichen analogie mit dem tatsächlichen greifen, die kultur des denkens setzt eine kultur der hand als einem subtil sensitiven organ voraus. wenn die hand sich entfalten darf, wenn sie nicht nur arbeitet, sondern auch spielt, wenn sie wahrnehmungen macht, wird sich auch der geist freier entfalten. die plastik der hand ist die plastik des denkens. der begriff ist das begriffene.“

„greifen und begreifen“, das ist ein Kapitel aus Otl Aichers Buch „analog und digital“ aus dem Jahr 1991. Hier ein Auszug. Achte mal darauf, wie sehr das körperliche eine Rolle dabei spielt, wenn wir über das Denken sprechen: Diese Zweigeteiltheit wird dir übrigens noch oft begegnen. Wenn du einmal drüber nachdenkst, wirst du sehen, dass sie in so ziemlich allem drinsteckt, was dich umgibt. Und in so ziemlich in allem steckt, worum es in deinem Studium geht. Genau hier liegt die Verbindung von Theorie und Praxis. Die eine repräsentiert die unsichtbare, gedankliche, die andere die sichtbare, anfassbare Welt.

„greifen und begreifen“, das ist ein Kapitel aus Otl Aichers Buch „analog und digital“ aus dem Jahr 1991. Hier ein Auszug. Achte mal darauf, wie sehr das körperliche eine Rolle dabei spielt, wenn wir über das Denken sprechen: Und das werden wir uns jetzt an einem praktischen Beispiel ansehen, das dir schon hunderte Male begegnet ist.

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen:

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen: Das Apotheker-A

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen: Stell dir vor, du gehst durch die Fußgängerzone einer deutschen Stadt. Du hast Kopfschmerzen oder Heuschnupfen. Was machst du? Richtig, du beschließt, nach einer Apotheke Ausschau zu halten. Wonach genau suchst du? Richtig, vor deinem geistigen Auge erscheint sofort das rote Apotheken-A. Das „große gotische A auf weißem Grund mit in weißer Ausführung eingezeichnetem Arzneikelch mit Schlange“ – ist beim Deutschen Patentamt als offizielles Verbandszeichen des deutschen Apothekerverbandes (DAV) eingetragen und darf nur in der genannten Form und unter strikter Beachtung der Zeichensatzung verwendet werden. Dieses Zeichen ist, in einigen überarbeiteten Varianten, seit gut einhundert Jahren in Verwendung.

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen: Hinter dem großen, roten Apotheker-A, das hierzulande sichtbar an jeder Apotheke prangt, steckt jedoch viel mehr. Stell dir einfach vor, dass über diesem sichtbaren Zeichen sich, Schicht um Schicht wie Sedimentgestein, mehrere Bedeutungsebenen auf der geistigen, theoretischen Ebene befinden – eben jener unsichtbaren Welt, von der wir’s eingangs so viel hatten.

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen: Wenn du die Einzelteile des Zeichens betrachtest, fällt gleich das Bildzeichen ins Auge, und diese Symbolik zieht uns sofort zurück in eine Zeit, die weit zurückreicht. In der griechischen Mythologie wird die Göttin der Gesundheit, Hygieia, oft mit dieser „Schale der Hygieia“, aus der eine Schlange trinkt, dargestellt. Hygieia wird gleich am Anfang des Hippokratischen Eids angerufen, in dem die Ärzte schwören, dem Wohl des Patienten zu dienen.

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen: Auch der Schlange selbst kommt große symbolische Bedeutung zu. Das enthüllt ein Blick in eines meiner Lieblingsnachschlagewerke, „Das Buch der Symbole“ des Archive for Research in Archetypal Symbolism, ein Bild- und Textarchiv zu mythologischen und symbolischen Bildern aus aller Welt. Diesem reich bebilderten Buch zufolge

1.4. Die unsichtbaren Ebenen hinter dem sichtbaren Zeichen: „fand die Schlange Eingang in unsere Mythen als kosmische Schöpferin, Ahnherrin, Zerstörerin und als heiliges Wesen. (…) Sie hört durch die Haut (…) und ist so mit verborgenen, orakelhaften Geheimnissen des Wissens verbunden.“

Und weiter:

Und weiter: „Die Schlange, auch Asklepios, ist dem Heiler geweiht, verkörperte den „Genius“ des Arztes und wurde häufig um dessen Stab gewickelt dargestellt.“

Wenn du also in einer profanen Fußgängerzone nach dem Apothekenzeichen suchst, hälst du in Wirklichkeit nach einer Symbolik Ausschau, die seit Jahrtausenden mit der Idee der Heilkunde und Gesundheit assoziiert wird. Das ist die tiefere Bedeutung des Zeichens, das diese ganze lange Gedankenkette auslöst. Und du kennst diese Symbole intuitiv – du hast sie schon dein ganzes Leben lang gelernt und vermittelt bekommen. Und diese alten, kulturellen Codes haben auch in unserer Zeit, dem Digitalzeitalter, nie an Bedeutung verloren. Designer: innen tun gut daran, sich der Macht dieser alten Zeichen bewusst zu werden: es ist eine universelle Sprache, die Ankoppelung an den uralten Kulturspeicher der Menschheit.

Du siehst also, dass sich hinter dem sichtbaren Zeichen oder Objekt jede Menge unsichtbare Bedeutungsebenen verbergen, aus den unterschiedlichsten, theoretischen Bereichen. Designer: innen werden dann richtig gut in ihrem Fach, wenn sie sich mit diesen anderen Betrachtungsweisen und Wissenschaften auskennen. Wenn wir uns sozusagen eine Art Trickkiste aneignen, um intelligent über Design zu sprechen und uns im Gestaltungsprozess davon inspirieren lassen. Einige dieser unterschiedlichen Ebenen und Betrachtungsweisen, die hinter den sichtbaren Dingen liegen, und gutes Material für deine Trickkiste, wirst du in dieser Vorlesung kennenlernen:

Um mal bei der Schlange zu bleiben: Eine Wissenschaftssparte, die diese alten Symbole untersucht hat, ist die Psychologie – allen voran Carl Gustav Jung, eher bekannt als C.G. Jung, ein berühmter Schüler von dem berühmten Sigmund Freud. Wir werden uns jedoch in dieser Vorlesung mit noch einer anderen Sparte der Psychologie beschäftigen: nämlich der Wahrnehmungspsychologie.

Um mal bei der Schlange zu bleiben: Eine andere Wissenschaft, die auch mit Symbolen und Zeichen zu tun hat, nennt sich „Semiotik“. Das ist die Wissenschaft, die sich mit Zeichensystemen aller Art befasst (z. B. Bilderschrift, Gestik, Formeln, Sprache, Verkehrszeichen).

Um mal bei der Schlange zu bleiben: Wir haben ja schon gesagt, dass Design sowas ist wie eine universelle Sprache. Wie du diese Sprache verstehen und sprechen lernen kannst, das werden wir uns mit der „Theorie der Produktsprache“ anschauen.

Um mal bei der Schlange zu bleiben: Dabei werden wir auch immer wieder die geschichtliche Ebene betrachten – welche Rolle und Aufgaben Design zu unterschiedlichen Zeiten übernommen hat, je nachdem, wie weit die technologischen Entwicklungen wie Industrialisierung und Digitalisierung fortgeschritten waren, welches Leben die Menschen in dieser Zeit lebten und welche Bedürfnisse sie hatten.

Um mal bei der Schlange zu bleiben: Auch die Gesetzmäßigkeiten, wie diese Sprache zwischen Sender und Empfänger hin- und herwandert, werden wir uns in einer Folge anschauen – Kommunikationstheorie wird diese Ebene genannt.

Um mal bei der Schlange zu bleiben: Aber jetzt untersuchst du als praktische Rechercheaufgabe erstmal ein ähnlich bekanntes Zeichen wie das eben beschriebene Apotheken-A auf genau diese verborgenen Ebenen, die dahinter liegen.

1.5. Rechercheaufgabe: Die Bedeutung hinter dem sichtbaren Zeichen

1.5. Rechercheaufgabe: In der Rechercheaufgabe geht es mir darum, dass du das Gehörte reflektierst und für dich selbst mit echten Beispielen mit Bedeutung füllst. Heute ging es in dieser Folger ja viel darum, dir einen neuen Blick dafür zu verleihen, dass hinter den sichtbaren Dingen immer auch diese unsichtbare, geistige Ebene liegt. Das probiert Ihr jetzt am besten mal selbst aus. Ihr werdet jetzt im Team tiefer hinter die sichtbare Form einsteigen, um zur unsichtbaren Ebene der Bedeutung vorzudringen.

1.5. Rechercheaufgabe: Hierzu schlage ich Euch jetzt ein paar Beispiele vor, die Ihr Euch im Team näher anschauen könntet.

Das Deutsche Apotheker-A ist im europäischen Kontext eine Ausnahme. Wenn du in Städten in Europa unterwegs bist, ist dir vielleicht schon ein anderes Zeichen aufgefallen: das Grüne Kreuz.

Ein anderes Beispiel ist eines der berühmtesten Markenzeichen der Welt: der angebissene Apfel der Firma Apple. Beide Zeichen haben eine alte, symbolische Bedeutung, die tief in unterschiedliche Bereiche verweist.

Zerlegt das Zeichen in seine Einzelteile: Bildzeichen, Symbole und Farben. Recherchiert, welche Bedeutungen und unterschiedlichen kulturellen Quellen dahinterliegen – Ihr werdet Euch wundern, wie tief diese Zeichen in die Vergangenheit zurückreichen und wie viele unterschiedliche Kontexte und Schichten hinter einem einzigen Zeichen liegen. Versucht jeweils die Verbindung an die tiefere Symbolik, die Geschichte, die universelle Wiedererkennbarkeit des Zeichens zu finden. Sammelt Bildmaterial, macht Euch so viele Notizen wie möglich, dokumentiert alle Quellen – so kann alles Material gleich in Eure Dokumentation einfließen.

Zerlegt das Zeichen in seine Einzelteile: Ich freue mich schon auf Eure Rechercheergebnisse.

Bleibt mir nur ein Schlusswort zu dieser ersten Folge unserer Vorlesung „Design- und Kommunikationstheorie“. Du hast dich gerade aufgemacht, eine universelle Sprache zu lernen – eine megagute Lebensentscheidung. Zu oft werden die Unterschiede gesehen, durch fast alles in dieser Welt verläuft ein Riss; Menschen haben die Tendenz, sich eher darüber Gedanken zu machen, wie man sich abgrenzt voneinander. Dabei kann die Welt nicht genug haben an Verbindung, Vermittlung und Übersetzung. So vieles gibt es zu vermitteln, so vieles zu verstehen und zu verbinden. Ich glaube sogar, dass dies die eigentliche Aufgabe von Designerinnen und Designern ist. In diesem Sinne:

Bleibt mir nur ein Schlusswort zu dieser ersten Folge unserer Vorlesung „Design- und Kommunikationstheorie“. Du hast dich gerade aufgemacht, eine universelle Sprache zu lernen – eine megagute Lebensentscheidung. Zu oft werden die Unterschiede gesehen, durch fast alles in dieser Welt verläuft ein Riss; Menschen haben die Tendenz, sich eher darüber Gedanken zu machen, wie man sich abgrenzt voneinander. Dabei kann die Welt nicht genug haben an Verbindung, Vermittlung und Übersetzung. So vieles gibt es zu vermitteln, so vieles zu verstehen und zu verbinden. Ich glaube sogar, dass dies die eigentliche Aufgabe von Designerinnen und Designern ist. In diesem Sinne: Bis bald!

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